Mitarbeiterdiagnostik: Warum sollte mich deine Persönlichkeit interessieren?

Wie viel „Menschlichkeit“ gut für Organisationen ist, würden Menschen aus unterschiedlichen Philosophien sehr unterschiedlich beantworten. Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die sagen, dass wir nur dann gute Arbeit leisten können, wenn wir im beruflichen Kontext wir selbst sein dürfen. Mit der gesamten Bandbreite unserer Eigenschaften, Gefühle und Bedürfnisse. Diese Ansicht hat durch die New-Work-Bewegung viel Zuspruch erhalten. In seinem Buch „Reinventing Organizations“ spricht Frederic Laloux vom Prinzip der „Ganzheit“: Wir können nur dann gute Arbeit leisten, wenn wir wir selbst sein können und keine Energie darauf verwenden müssen, eine professionelle Maske zu tragen.
Viele der Dinge, die wir heute in Organisationen sehen, basieren auf dieser Denkweise. Der Dresscode wurde in vielen Branchen abgeschafft. Mitarbeitende bringen ihre Hunde mit zur Arbeit, und insbesondere in jungen Unternehmen ist es kein Stigma mehr, im Arbeitsumfeld zu weinen oder über Ängste zu sprechen.
Gleichzeitig gibt es viele Stimmen (und mein Eindruck ist, dass sie immer lauter werden), die sagen, es sei wichtig, zwischen Menschen und Mitgliedern einer Organisation zu differenzieren. In diesem Zusammenhang sprechen die Autoren des Buches „The Humanization of the Organization“ von einer notwendigen „Barriere“ zwischen Menschen und Unternehmen, die beide Seiten schützt. Solange die individuellen Charaktereigenschaften und Bedürfnisse einer Person nicht mit den Verhaltensweisen und Umgangsformen kollidieren, die mit einer Rolle im Unternehmen verbunden sind, geht dies den Arbeitgeber nichts an. In diesem Zusammenhang sprechen die Autoren von „Rollenerwartungen“.
Die Sonnenseite der Macht
Diese Rollenerwartungen werfen Fragen auf angesichts einer sich grundlegend verändernden Arbeitswelt. Beispiele sind:
- Sollte ich von meinem Chef noch erwarten, dass er dominant oder sogar cholerisch ist?
- Sollte ich von meiner Kollegin aus der Finanzabteilung erwarten, dass sie neuen Ideen grundsätzlich pessimistisch gegenübersteht?
- Kann ich von einem HR-Kollegen erwarten, dass er empathisch und offen ist?
Eines ist klar: Die Werte der nächsten Generation und damit auch die Erwartungen, wie Menschen in Unternehmen zusammenarbeiten, unterscheiden sich oft von denen der Babyboomer-Generation, deren Vertreter noch viele wichtige Positionen in Organisationen innehaben. Besonders beim Führungsverhalten gehen die Vorstellungen auseinander.
Lange Zeit waren Charaktereigenschaften, die wir heute als toxisch bezeichnen würden, förderlich für den Aufstieg in der Unternehmenshierarchie. Überdurchschnittliche Ausprägungen von kontraproduktiven Verhaltensweisen (Ichbezogenheit, Impulsivität, strategische Manipulation) sind auch heute noch stark bei Führungskräften vertreten. Das wird zunehmend zu einem Problem für Unternehmen. Gerade junge Mitarbeitende erwarten von ihren Führungskräften nicht nur, dass sie Ziele setzen und Entscheidungen treffen, sondern auch, dass sie motivieren, zuhören und empathisch auf ihre Bedürfnisse eingehen. Laut einer LinkedIn-Studie wünschen sich 41 % der Mitarbeitenden mit bis zu zwei Jahren Berufserfahrung, dass Führungskräfte mehr Empathie zeigen. Unter Auszubildenden und Studierenden sind es sogar 60 Prozent.
Mehr als vier Farben
Solche weichen Faktoren lassen sich jedoch schwer aus einem Lebenslauf oder dokumentierten Leistungen ablesen. Hier bieten moderne Messmethoden auf Basis von KI neue Möglichkeiten. KI-Systeme können HR-Managern helfen, ein tiefgehendes Verständnis für die individuellen Stärken und Entwicklungspotenziale der Mitarbeitenden zu entwickeln. Die Technologie ermöglicht es, Menschen differenziert zu betrachten und keine vorschnellen Urteile zu fällen. Das ist wichtig, denn es sollte inzwischen jedem HR-Manager klar sein, dass sich menschliche Persönlichkeit nicht auf vier Farbtypen reduzieren lässt. Gleichzeitig können die vielen Nuancen nicht allein durch ein Interview oder ein Coaching-Gespräch erfasst werden, da alle Beteiligten nicht frei von Vorurteilen sind. KI kann hier neue Standards setzen und Eigenschaften sichtbar machen, die oft übersehen wurden, aber für das Funktionieren einer Organisation essenziell sind.
Was misst KI?
Es gibt verschiedene KI-Modelle, die auf unterschiedliche Bereiche der Persönlichkeit abzielen. Das Ziel des Einsatzes von KI-Systemen im HR-Bereich ist im Grunde immer dasselbe:
- sicherzustellen, dass die richtigen Personen die richtigen Positionen besetzen,
- zu verhindern, dass Menschen mit toxischem Verhalten Führungsverantwortung übernehmen,
- zu überprüfen, ob die Person in die Unternehmenskultur passt, und
- die Fähigkeit von Teams zur Zusammenarbeit zu fördern.
Im Bereich „Learning & Development“ liegt der Fokus auf Eigenschaften, die weiterentwickelt werden können. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass es nicht darum geht, Menschen „umzukrempeln“, damit sie ins Unternehmen passen. Das ist weder möglich noch wünschenswert. Vielmehr geht es darum, die gewonnenen Erkenntnisse mithilfe der KI zu nutzen, um Mitarbeitende zu stärken, damit sie in ihrer beruflichen Rolle wachsen können. Zum Beispiel könnte der Finanzkollege, der zu übermäßigem Pessimismus neigt, lernen, bewusst eine andere Perspektive einzunehmen. Oder der HR-Kollege lernt, wie er empathisch sein kann. Coaching, Mentoring und andere Formate machen dies möglich.
Ausblick
Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, wie viel Menschlichkeit gut für eine Organisation ist. Unabhängig davon, welcher Perspektive man folgt, ist letztlich entscheidend, ob das Verhalten einer Person und die Erwartungen an die Rolle, die sie ausfüllt, übereinstimmen. Weniger wichtig ist, ob es sich dabei um authentisches Verhalten oder eine „professionelle Maske“ handelt, die Mitarbeitende an der Bürotür aufsetzen. Wichtiger ist, dass ihre Handlungen auf Charaktereigenschaften beruhen, die eine gute und produktive Zusammenarbeit im Sinne der Organisation und ihrer Mitglieder als erstrebenswert ansehen.
Verhaltenserwartungen und damit auch erwünschte Eigenschaften unterliegen einem Wandel, auf den Unternehmen reagieren müssen, wenn sie Mitarbeitende der neuen Generation anziehen und halten wollen. Die neuesten KI-Modelle machen diese Charaktereigenschaften, die für das Funktionieren einer Organisation wesentlich sind, messbar und darstellbar. Die Technologie ermöglicht es somit sowohl jedem einzelnen Mitarbeitenden als auch der Organisation insgesamt, sich bestmöglich zu entwickeln und eine erstrebenswerte Zukunft zu gestalten.

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