New Leadership: Nett ist der kleine Bruder von toxisch!

Ich finde es richtig und wichtig, dass wir als Gesellschaft über Themen wie “Toxische Männlichkeit” diskutieren und entsprechendes Fehlverhalten klar als solches benennen. Sprache formt unser Sein und unser Bewusstsein; Probleme können wir nur beschreiben und damit besprechbar machen, wenn wir Worte dafür haben. Toxisch ist so ein wichtiges Wort. Toxisches Verhalten wirkt sich auf vielen Ebenen negativ aus und wir brauchen Hebel, um es zu erkennen und ihm etwas entgegenzusetzen.
Gleichzeitig plädiere ich dafür, Worte mit Bedacht einzusetzen. Nicht, um diejenigen, die sich falsch verhalten, zu schonen. Im Gegenteil: um den Worten nicht ihr Gewicht zu nehmen.
Toxische Mitarbeitende und toxische Führungskräfte sind für Unternehmen ein riesiges Problem. Forschende der Universität Bielefeld, der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie der Universität Trier haben herausgefunden, dass in 85% der Unternehmen toxisches Führungsverhalten („Abusive Supervision“) vorkommt. 21 Prozent der Unternehmen verfügen sogar über ein ausgesprochen toxisches Führungsklima. Die Auswirkungen reichen von geringerer Leistung über einen hohen Krankenstand bis zu hoher Mitarbeiterfluktuation und einer daraus resultierenden geringen Arbeitgeberattraktivität.
Doch woran erkennt man eigentlich, ob ein:e Vorgesetzte:r sich toxisch verhält?
Klar ist, nicht alles, was unbequem ist, ist automatisch toxisch. Ein toxisches Arbeitsklima lässt sich zum Beispiel an folgenden Faktoren erkennen:
- Manipulation & Angstkultur:Führungskräfte spielen Mitarbeitende gegeneinander aus und schüren ein Klima der Unsicherheit und Angst.
- Mangel an Respekt & Wertschätzung:Vorgesetzte verhalten sich respektlos, machen unangemessene Bemerkungen, hängen Fehler hoch auf und lassen Erfolge gleichzeitig unter den Tisch fallen.
- Ungerechte oder willkürliche Entscheidungen: Regeln gelten nur für einige und persönliche Sympathien bestimmen den Karriereweg.
- Hoher Krankenstand & hohe Fluktuation:Auffällig viele Mitarbeitende wollen intern wechseln (um sich der Führungskraft zu entziehen), sind häufiger krank oder verlassen das Unternehmen, weil das Klima unerträglich ist.
Führungskräfte müssen nicht nett sein
Was ist dann das Gegenteil von toxisch? – „Nett“ ist es mit Sicherheit nicht. Eine führungsstarke Person sollte nicht primär nett sein, sondern in erster Linie empathisch und wirkungsvoll. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass allzu nettes Verhalten ab einem gewissen Grad ein toxisches Arbeitsklima befördern kann.
Inwiefern?
Führungskräfte, die New Leadership mit permanentem Nettsein verwechseln, versuchen mitunter auf Biegen und Brechen, Harmonie zu bewahren, vermeiden Konflikte und sagen ungern „Nein“. Kurzfristig fühlt sich diese Nettigkeit angenehm an, aber langfristig führt sie zu ernsthaften Problemen:
- Unklare Erwartungen: Fehlendes in der Sache hartes Feedback führt zu Unsicherheit.
- Leistungsabfall:Mitarbeiter:innen werden nicht gefordert und damit auch nicht gefördert.
- Ungerechtigkeit im Team: Schwächere Mitarbeitende werden geschont, während leistungsstarke Frustration empfinden.
- Glaubwürdigkeitsverlust und Laissez-Faire: Wer sich nicht durchsetzen kann, verliert Respekt. Irgendwann machen alle, was sie wollen und niemand, was er soll.
Die Psychologie hinter zu netter Führung
Warum verhalten sich manche Führungskräfte zu nett? – Dahinter liegen meist psychologische Gründe. Der Mensch ist grundsätzlich ein soziales Wesen und strebt nach Verbindung mit anderen. Das ist eigentlich auch gut und kann – richtig eingesetzt – einen empathischen Führungsstil fördern. Mitunter liegt aber ein anderes Bedürfnis darüber, das gute Führung schwierig macht: Das Bedürfnis, gemocht zu werden. Dieses kann sachliche Entscheidungen beeinträchtigen und führt häufig dazu, dass Führungskräfte Konflikte aufschieben, statt sie anzusprechen, sodass sie weiter schwelen, die Atmosphäre im Team vergiften und die Leistung mindern.
Was macht effektive Führung aus?
Gute Führung dagegen bedeutet “hart” im besten Sinne zu sein – nämlich ehrlich, klar und konsequent. Führungskräfte müssen “lesbar” sein. Wir zum Beispiel raten jedem, der von extern neu in ein Team kommt, den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, Termine zu machen, in denen sie die Führungskraft kennen und lesen lernen. Mitarbeitende wissen so, was sie erwarten können. Im Gegensatz zu Laissez-Faire-Manager:innen formulieren effektive Führungskräfte nachvollziehbare Erwartungen und treffen schwierige Entscheidungen, also auch solche, die nicht allen gefallen. Eine konsequente Führungskraft setzt Standards, fordert Leistung ein und gibt Feedback – auch wenn das manchmal unbequem ist. Konsequenz ist dabei nicht gleich Toxizität. Toxisches Verhalten baut auf Demütigung, Mikromanagement, Entmündigung und Angst auf – konsequente Führung hingegen auf Klarheit, Fairness und Verlässlichkeit.
Toxisch oder konsequent – den Unterschied erkennen
Manchmal ist es nicht einfach zu erkennen, ob ein Verhalten toxisch ist oder nötig, auch wenn es bei Einzelnen auf Widerstand stößt. Erst recht, wenn es immer wieder zu Reibung zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden bei bestimmten Themen kommt. Folgende Fragen können helfen, das Verhalten des Gegenübers einzuordnen:
- Emotionale Reaktion hinterfragen: Fühle ich mich persönlich getroffen, weil mir etwas nicht passt, oder ist das Verhalten meines Vorgesetzten wirklich destruktiv?
- Nach objektiven Kriterien urteilen:Ist die getroffene Entscheidung begründet, auch wenn sie nicht unbedingt meinen Argumenten folgt?
- Feedback einholen: Wie erleben andere Kolleg:innen das Verhalten der Führungskraft? Teilen sie meine Empfindung?
- Unternehmenskultur: Gibt es Werte und Strukturen, die kollaboratives und wertschätzendes Arbeiten ermöglichen?
Fazit: Ein bewussterer Umgang mit toxischen Persönlichkeitsanteilen
Toxische Mitarbeitende sind ein großes Problem und können für Unternehmen sehr teuer werden. Im Idealfall schaffen es Menschen mit toxischen Verhaltensweisen gar nicht erst in die engere Auswahl für wichtige Positionen. Mit KI-basierten Persönlichkeitstests lassen sich entsprechende Tendenzen bereits im Bewerbungsprozess erkennen und Fehlbesetzungen vermeiden. Gleichzeitig brauchen wir eine differenzierte Betrachtung von menschlichen Eigenschaften. Nicht alle Charakteristika, die auf andere „hart“ wirken, sind auch toxisch. Hier können KI-Systeme ebenfalls helfen, Nuancen zu erkennen und Persönlichkeitsanteile von (potenziellen) Mitarbeitenden und Führungskräften skalenbasiert einzuordnen.
Der inflationäre Gebrauch des Begriffs “toxisch” verwässert dagegen die echte Problematik toxischer Arbeitskulturen. Nur wenn wir den Unterschied klar benennen, können wir Missstände ernsthaft bekämpfen und zugleich gute Führung wertschätzen.

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