13 +1 (Super-) Bias im Recruiting

Wie ihr sie erkennt und aushebelt, um wirklich passende Kandidat:innen zu finden
13 Biases in Recruiting - How to Recognize and Overcome Them to Find Truly Suitable Candidates

Bias – oder Verzerrungen – sind unbewusste Denkmuster, die unsere Wahrnehmung und Entscheidungen beeinflussen können. Im Kontext von Personalentscheidungen können Bias dazu führen, dass Kandidat:innen nicht fair bewertet werden,Potenziale ungenutzt bleiben und wir im Zweifel die falsche Person einstellen. Welche Formen von Bias es gibt, wie sie sich auswirken und wie ihr sie vermeiden könnt, erfahrt ihr jetzt.

1. Confirmation Bias

Der Bestätigungsfehler tritt auf, wenn wir Informationen suchen, die unsere bereits bestehenden Eindrücke bestätigen. Zum Beispiel suchen wir im Bewerbungsgespräch gezielt nach Anzeichen, die unsere erste positive oder negative Einschätzung des Kandidaten oder der Kandidatin bestätigen.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Entwickelt standardisierte Fragen für Interviews.
  • Arbeitet mit mehreren Interviewenden, um subjektive Eindrücke auszugleichen.
  • Nutzt vorab KI-basierte Analysetools, um eine erste objektive Einschätzung zu erhalten.

2. Halo Effect

Halo auch als „Heiligenschein“ bekannt. Beim Halo-Effekt strahlt dann auch tatsächlich ein einzelnes positives Merkmal (z. B. Selbstbewusstsein oder der tolle Firmennamen im CV) auf die Gesamtbewertung der Person aus. Dadurch erscheinen andere Eigenschaften ebenfalls positiver, unabhängig davon, ob sie wirklich vorhanden sind.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Nutzt KI vor dem Bewerbungsgespräch, um eine differenzierte Persönlichkeitsanalyse zu erhalten. Das Ergebnis könnt ihr als Grundlage für das Bewerbungsgespräch nutzen.
  • Definiert vor dem Gespräch, welche Eigenschaften für die zu besetzende Rolle besonders wichtig sind.
  • Bewertet jede relevante Kompetenz unabhängig voneinander.

3. Similarity Bias

Der wohl bekannteste Bias ist der Ähnlichkeitsbias. Dieser führt dazu, dass wir Menschen bevorzugen, die uns ähnlich sind, etwa was ihre Herkunft, Werte oder Interessen betrifft. Häufig wird dies als „kulturelle Passung“ bezeichnet, was jedoch unbewusste Diskriminierung begünstigen kann.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Konzentriert euch auf objektive Anforderungen der Rolle, nicht auf Ähnlichkeiten.
  • Sorgt für ein divers aufgestelltes HR-Team, das die Entscheidung für oder gegen Kandidat:innen trifft.

4. Stereotyping

Stereotypisierung geschieht, wenn wir Einstellungsentscheidungen aufgrund äußerer Merkmale, wie z. B. Geschlecht, Herkunft oder Alter fällen. Unsere Urteile basieren häufig auf unbewussten Annahmen (Unconscious Bias) und nicht auf Fakten.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Führt anonymisierte Bewerbungsverfahren durch.  
  • Entwickelt eine Kultur, in der ihr euch fortlaufend kritisch mit Unconscious Bias auseinandersetzt.  
  • Sanktioniert offensichtlich diskriminierendes Verhalten.

5. Anchoring Bias

Der Ankerfehler bezieht sich darauf, dass erste Eindrücke oder initiale Antworten einen unverhältnismäßig großen Einfluss auf unsere Gesamtbewertung eines Kandidaten oder einer Kandidatin haben können.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Nutzt datenbasierte Tools, um ein ganzheitliches Bild der Person zu erhalten, die sich für eine Stelle bewirbt.   
  • Trefft Entscheidungen erst, wenn ihr alle relevanten Informationen gesammelt, strukturiert und im Idealfall unter Einbeziehung mehrerer Personen des HR-Teams ausgewertet habt.

6. Attribution Error

Wenn wir dem Attributionsfehler erliegen, führen wir bestimmte Verhaltensweisen sofort auf die Persönlichkeit der Kandidat:innen statt auf äußere Umstände zurück. Ein Beispiel: „Er ist unorganisiert“ statt „Er hatte nicht genügend Zeit zur Vorbereitung.“

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Berücksichtigt stets den Kontext von Aussagen oder Verhaltensweisen.
  • Fragt Bewerbende gezielt nach möglichen Ursachen für ihr Verhalten (“War die Vorbereitungszeit ausreichend?”).
  • Nutzt Natural Language Processing (NLP) -basierte Technologie, um ein differenziertes Persönlichkeitsprofil von Bewerbenden zu erhalten, welches eure Entscheidung objektiviert.

7. Recency Bias

Beim Recency Bias beeinflussen die letzten Eindrücke oder Antworten der Person vor uns unsere Wahrnehmung unverhältnismäßig stark. Früher Gesagtes blenden wir dabei oft aus.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Nutzt vor dem persönlichen Gespräch ein digitales Fragetool mit standardisierten Fragen.  
  • Bedient euch der Möglichkeiten von NLP-Technologie, um Rückschlüsse von offenen Textantworten auf die Persönlichkeit von Bewerbenden zu erhalten.
  • Reflektiert den Gesamteindruck aus Analyse und Gespräch systematisch im Team.

8. Overconfidence Bias

Der Überlegenheitsfehler entsteht, wenn wir uns zu sehr auf unsere Einschätzungsfähigkeit verlassen (“Ich erkenne eine:n gute:n Vertriebler:in sofort”) und zu schnelle Schlüsse ziehen.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Lasst eure Einschätzung von anderen überprüfen. Nutzt dabei menschliche und Künstliche Intelligenz.  

9. Horns Effect

Das Gegenstück zum Halo-Effekt ist der Horns-Effekt, bei dem ein negatives Merkmal das gesamte Urteil verzerrt. Ein kleiner Fehler unseres Gegenübers kann dazu führen, dass wir die Person insgesamt schlechter wahrnehmen.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Reflektiert bewusst, ob euer negatives Urteil auf einer einzelnen Eigenschaft basiert.
  • Nehmt euch Zeit für eine umfassende Beurteilung.
  • Sichert eure Entscheidung mit objektiv erhobenen Daten zur Persönlichkeit der Kandidatin oder des Kandidaten ab.  

10. Availability Heuristic

Die Verfügbarkeitsheuristik beschreibt, dass wir uns mitunter übermäßig stark durch Erfahrungen oder Erinnerungen aus der jüngsten Vergangenheit beeinflussen lassen. Das können zum Beispiel Gespräche mit anderen Bewerber:innen sein, die gerade stattgefunden haben.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Führt persönliche Gespräche nicht “wie am Fließband”, sondern lasst zwischen ihnen etwas Zeit vergehen.
  • Zieht immer auch datenbasierte Auswertungen zu den Eigenschaften und Fähigkeiten der Kandidat:innen zu Rate.
  • Dokumentiert die Eindrücke aus jedem Gespräch, um Verzerrungen im Nachgang zu minimieren.  

11. Status-Quo Bias

Beim Status-Quo-Bias werden Kandidat:innen bevorzugt, die einem etablierten Muster entsprechen. Neue Ansätze oder unkonventionelle Profile werden oft weniger berücksichtigt.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Schaut nicht nur auf Skills, sondern auch auf Persönlichkeit.  
  • Sucht bewusst nach Kandidat:innen mit untypischen Lebensläufen.
  • Fördert Offenheit, Neugier und ein Bewusstsein für innovative Perspektiven im Team.

12. Survivorship Bias

Der Survivorship-Bias tritt auf, wenn wir den Fokus auf Eigenschaften legen, die erfolgreiche (ehemalige) Mitarbeitende hatten oder haben. Allzu schnell übersehen wir dabei das Potential anderer Eigenschaften und geben ungewöhnlichen oder unbekannten Profilen nicht die Chance, die sie verdienen.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Definiert, welche Merkmale tatsächlich erfolgsrelevant mit Blick auf die Stelle und die Organisation als Ganzes sind.
  • Bewertet die Fähigkeiten und Eigenschaften unabhängig von bisherigen Erfolgen.

13. Loss Aversion

Die Verlustaversion beschreibt unsere Tendenz, uns lieber für den “sicheren Kandidaten” zu entscheiden, um Risiken zu vermeiden, auch wenn eine andere Kandidatin ggf. besser zur Kultur des Unternehmens passt.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

  • Stellt euch bewusst die Frage, welche langfristigen Vorteile eine mutige Entscheidung bringen könnte.
  • Nutzt Probearbeiten oder KI-basierte Assessments, um das Risiko für Fehlbesetzungen zu minimieren.

13+1. Social Desirability Bias (“Super Bias”)

Der Social Desirability Bias – auf Deutsch der Soziale Erwünschtheitseffekt – beschreibt die Tendenz von Kandidat:innen, Antworten oder Verhaltensweisen zu zeigen, die als sozial akzeptabel oder erwünscht gelten, anstatt authentisch zu sein. Besonders in Bewerbungsgesprächen oder Tests möchten Menschen oft den besten Eindruck hinterlassen und präsentieren sich daher so, wie sie glauben, dass es von ihnen erwartet wird. Dies kann zu verzerrten Beurteilungen führen, da die wahren Kompetenzen und Werte der Person verdeckt bleiben.

Beispiel: Ein:e Kandidat:in betont im Gespräch, wie wichtig Teamarbeit für sie sei, obwohl sie in der Realität lieber eigenständig arbeitet. Diese Aussage dient lediglich dazu, den Erwartungen der Interviewer:innen zu entsprechen.

Der Social Desirability Bias ist deshalb so mächtig, weil er andere Bias verstärken kann. Wenn ein:e Kandidat:in sich besonders sozial erwünscht verhält, könnten z.B. der Halo-Effekt oder der Anchoring Bias verstärkt werden. Ein stark selbstbewusst auftretender Kandidat könnte dadurch nicht nur positiv auffallen, sondern auch andere Kompetenzen überschätzt werden – obwohl er diese eventuell nur vortäuscht.

So könnt ihr den Bias aushebeln:

 

  • Hier kann neueste KI-Technologie besonders glänzen. Mit ihr lassen sich Persönlichkeitstests erstellen, die auf den ersten Blick keine sind. Kandidat:innen beantworten offene Fragen mit Textantworten in Alltagssprache. Die KI kann anhand der Antworten Eigenschaften erkennen, die über den ersten Eindruck hinausgehen. Vermeintlich erwünschte Antworten fallen so kaum mehr ins Gewicht. Daher: Nutzt die technologischen Möglichkeiten für euch!
  • Im sich anschließenden persönlichen Gespräch stellt Fragen, die sich auf konkrete vergangene Situationen beziehen, wie z. B.: „Können Sie mir ein Beispiel nennen, in dem Sie in einem Team ein Problem gelöst haben?“ Dies macht es schwieriger, „erwünschte“ Antworten zu geben. 
  • Achtet zudem im Gespräch darauf, keine Hinweise zu geben, was als „richtige“ Antwort wahrgenommen werden könnte. Zeigt Offenheit für unterschiedliche Ansätze. 

Fazit

Bias sind ein natürlicher Teil unserer Entscheidungsprozesse. Doch sie können negative Konsequenzen für Unternehmen und Bewerber:innen haben. Mit bewusstem Handeln, standardisierten Prozessen, regelmäßigen Schulungen und der Nutzung KI-basierter Tools zur Persönlichkeitsanalyse können wir diesen Verzerrungen entgegenwirken und bessere Personalentscheidungen treffen. Ein erster Schritt ist, die oben genannten Bias zu erkennen. Dann heißt es Strategien entwickeln, um sie auszuschalten. Wenn menschliche und Künstliche Intelligenz dabei Seite an Seite agieren, können wir tolle Ergebnisse erzielen, die ideale Grundlage für faire Auswahlprozesse schaffen und so die richtigen Personen auf die richtigen Positionen bringen.

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