Bias out. ROI rein. Wie KI-Regulierung zum Erfolgstreiber wurde

Rückblick 2025: Die Entwicklung von KI vom reinen Tool zum Qualitätsfaktor
Looking back at 2025: How AI in recruiting went from being a mere tool to a driver of the future

Februar 2025. Während einige Unternehmen hektisch ihre KI-gestützten Recruiting-Prozesse überprüfen, um die EU AI Act-Anforderungen in letzter Minute zu erfüllen, herrscht anderswo Gelassenheit. Dort hat man die Monate zuvor genutzt, um nicht nur Compliance sicherzustellen, sondern grundsätzlich zu überdenken, wie Technologie im Recruiting eingesetzt werden soll.

Zwölf Monate später wird sich zeigen: Diese unterschiedlichen Herangehensweisen haben die Branche unterteilt – in diejenigen, die KI im Recruiting wirklich verstanden haben, und jene, die sie in erster Linie als technische und/oder Compliance-Herausforderung betrachten.

2025: Das Jahr des Erwachsenwerdens

Der Anfang des Jahres war geprägt von Unsicherheiten: Wie erfüllen wir die AI Act-Anforderungen? Müssen wir unsere Systeme abschalten? Wie teuer wird das? Doch im Laufe des Jahres haben die erfolgreichsten Unternehmen erkannt, dass die Regulierung nicht das Problem war, sondern die Lösung für das echte Problem: intransparente, unfaire Recruiting-Prozesse, die Potenziale übersehen und Bias reproduzieren.

Die Vorreiter:innen der HR-Branche haben die Anforderungen des EU AI Act auch als Chance begriffen. Sie haben ihre Recruiting-Technologie nicht nur compliant gemacht, sondern fundamental verbessert. Saint Sass etwa, eines der gefragtesten Fashion-Labels Europas, stellte während einer kritischen Wachstumsphase auf datenbasierte Persönlichkeitsanalyse um und konnte so fünf zentrale Positionen in nur vier Wochen besetzen, 50% schneller als der Startup-Durchschnitt, bei 50% weniger Interviews. Oder die CHAPTERS Group, eine Beteiligungsgesellschaft, die gezielt Gründungsteams aufbaut. Sie nutzt KI-gestützte Assessments, um zu identifizieren, wer wirklich unternehmerisches Denken und Handeln mitbringt – und erreichte in 2025 eine 25% höhere Interview-to-Hire-Ratio.

Was diese Erfolgsgeschichten vereint: Sie haben verstanden, dass Transparenz, Nachvollziehbarkeit und menschliche Aufsicht keine bürokratischen Hürden sind, sondern Qualitätsmerkmale exzellenten Recruitings.

Die Lernkurve der HR-Branche

2025 war auch ein Jahr schmerzhafter Lektionen. Unternehmen, die KI-Tools vorschnell und unreflektiert implementiert hatten, machten Erfahrungen, die sie lieber vermieden hätten: Algorithmen, die bestehende Bias verstärkten statt minimierten. Blackbox-Systeme, die niemand im Unternehmen wirklich verstand. Kandidat:innen, die sich durch intransparente Prozesse entwertet fühlten und ihre Bewerbungen zurückzogen.

Die Branche hat gelernt, dass nicht jede KI gleich ist. Der entscheidende Unterschied liegt in der zugrundeliegenden Technologie und Philosophie. Während CV-Parsing-Systeme historische Muster und damit einhergehend oft Diskriminierung, ermöglicht sprachbasierte Persönlichkeitsanalyse einen anderen Ansatz. Sie wertet nicht aus, welche Universitäten im Lebenslauf stehen oder welche Unternehmensnamen beeindrucken, sondern wie Menschen kommunizieren, denken und Probleme lösen. Sie macht sichtbar, was traditionelle Verfahren übersehen: intrinsische Motivation, Teamfähigkeit, Lernbereitschaft, unternehmerisches Denken.

Was immer mehr Unternehmen erkannt haben: Es geht nicht um maximale Automatisierung, sondern um bessere Entscheidungsgrundlagen. KI, die Recruiter:innen befähigt statt ersetzt. KI, die versteckte Talente identifiziert. Und, KI, die Cultural Fit vorhersagt, ohne auf bias-anfällige Kriterien wie Bildungsweg oder Familienstand zurückzugreifen.

Der ROI ethischer KI

Verantwortungsvolle KI ist nicht nur ethisch geboten, sie ist auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvoll. Diese Erkenntnis hat 2025 bei immer mehr Unternehmen eingesetzt. In Zeiten, in denen eine Fehleinstellung schnell sechsstellige Summen kostet und Fachkräftemangel zum limitierenden Wachstumsfaktor wird, ist die Quality-of-Hire die entscheidende Messgröße.

Unternehmen, die 2025 in transparente, erklärbare KI-Systeme investiert haben, berichten von messbaren Verbesserungen: kürzere Time-to-Hire bei gleichzeitig höherer Passgenauigkeit, geringere Fluktuation in den ersten zwölf Monaten, diversere Teams ohne Quotendruck. Der ROI ergibt sich nicht durch maximale Automatisierung, sondern durch bessere Entscheidungen.

Die Unternehmen, die das verstanden haben, gewinnen absehbar den War for Talent. Und das nicht trotz der AI Act-Anforderungen, sondern wegen ihnen.

Ausblick 2026: Technologie und Menschenkenntnis meistern

Was bedeutet das für 2026? Die grundlegende Frage „Nutzen wir KI im Recruiting?“ ist beantwortet. Die Aufmerksamkeit verschiebt sich zu „Wie gut ist unsere KI?“ Qualitätsstandards für Recruiting-Technologie werden sich etablieren, nicht nur durch Regulierung, sondern durch messbaren Business Impact.

2026 wird das Jahr, in dem KI im Recruiting unsichtbar wird, und das im besten Sinne. Sie wird so selbstverständlich wie E-Mail, aber ihre Qualität wird der entscheidende Differenzierungsfaktor sein. Die führenden Unternehmen werden jene sein, die über Compliance hinausdenken und KI strategisch einsetzen: für Potential-Prediction statt CV-Screening, für Team-Fit-Analysen statt isolierter Einzelbewertungen, für ganzheitliche People Analytics statt Insellösungen.

Recruiter:innen entwickeln sich weiter zu kuratierenden Entscheider:innen, die datengestützte Insights mit menschlichem Urteilsvermögen verbinden. Empathie, Kontextverständnis und strategisches Denken werden wichtiger, nicht unwichtiger. Die besten HR-Abteilungen werden jene sein, die Technologie und Menschenkenntnis gleichermaßen beherrschen.

Das Fundament ist gelegt

2025 war das Jahr, in dem die Weichen gestellt wurden. Unternehmen, die jetzt auf der richtigen Seite dieser Entwicklung stehen – mit transparenter, fairer, wirksamer KI – haben einen Vorsprung, der 2026 entscheidend sein wird. Denn während sie bereits an der nächsten Generation von Recruiting-Innovation arbeiten, kämpfen andere noch mit den Grundlagen.

Das Jahr, in dem KI im Recruiting erwachsen wurde, ist auch das Jahr, in dem Recruiting menschlicher wurde. Diese scheinbare Paradoxie ist die eigentliche Innovation: Technologie im Dienst besserer menschlicher Entscheidungen.

Welch schöne Aussicht fürs kommende Jahr.

Prof. Dr. Florian Feltes

Prof. Dr. Florian Feltes ist Mitgründer und Co-CEO von zortify und Vorreiter der KI-gestützten HR-Innovation. Gemeinsam mit seinem Team entwickelt er intelligente Persönlichkeitsdiagnostik und hilft Unternehmen so, die perfekten Kandidat:innen zu identifizieren – ohne teure Assessments, ohne Bias. Seine Vision: Eine Welt, in der jedes Unternehmen mühelos High-Performance-Teams formt und Arbeitsumgebungen schafft, die menschliches Potenzial vollständig entfalten.

Prof Dr. Florian Feltes - Round
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