Effektiv führen: 20 % sprechen, 80 % aktiv zuhören!

Hand aufs Herz: Kennen Sie den aktuellen Zustand des Wohlbefindens Ihrer Mitarbeitenden? Verstehen Sie ihre Sorgen, Herausforderungen und Gefühle? Wissen Sie, was sie wirklich bewegt? Vor welchen Herausforderungen sie stehen? Was bei ihnen gut läuft? Und wo sie dringend Unterstützung brauchen?
Zuhören ist anstrengend
Effektives Zuhören erfordert Übung und Training. Besonders für Führungskräfte und gerade in unsicheren Zeiten, in denen viele Menschen von existenziellen Sorgen geplagt werden. Ein natürliches Talent zum Zuhören ist selten. Die Fähigkeit, unsere Meinungen ständig auf verschiedenen Kanälen zu äußern und in unserer „Blase“ bestätigt zu werden, macht das Zuhören nicht einfacher.
In hierarchischen Strukturen gibt es zudem oft die unausgesprochene Regel, dass Führungskräfte in Meetings den Großteil der Redezeit einnehmen – und letztlich immer Recht haben. Der Übergang von einem dominanten Redner zu einem aufmerksamen Zuhörer markiert einen bedeutenden Schritt hin zu einem nachhaltigen Kulturwandel in Organisationen. Dieser erfordert Zeit, Kraft und Durchhaltevermögen. Denn wahres Zuhören erfordert ein hohes Maß an Aktivität. Studien haben gezeigt, dass Zuhören viel anstrengender ist als Sprechen. Wenn wir sprechen, wird unser Gehirn ähnlich stimuliert wie z.B. beim Essen. Dadurch wird positive Energie in unserem Körper freigesetzt; aktives Zuhören hingegen zehrt erheblich an unseren Energiereserven.
Kann ich eigentlich zuhören?
Wenn man an Führungs- und Kommunikationsfähigkeiten denkt, denken viele zunächst an Rhetorik, die Fähigkeit, gut zu präsentieren und die verbale Kontrolle zu behalten. Diese Perspektive muss sich ändern. Denn gute Führungskräfte, die eine kollaborative, offene und wertschätzende Unternehmenskultur anstreben, müssen nicht viel reden. Sie müssen vielmehr aufmerksam zuhören – regelmäßig und jedem einzelnen Mitarbeitenden. Diese Führungsfähigkeit lässt sich wie ein Muskel trainieren. Voraussetzung dafür ist, das eigene Kommunikationsverhalten kritisch zu reflektieren.
Die fünf Stufen des Zuhörens
Zuhören geht weit über das bloße Aufnehmen von Worten hinaus. Die Qualität des Zuhörens kann in fünf Stufen gemessen werden:
- Stufe 1 (niedrigste Ebene): Nicht zuhören – Wir schenken dem Sprecher keine Beachtung, schauen vielleicht ständig auf unser Smartphone oder signalisieren auf andere Weise unser Desinteresse. Hier wird das Gegenüber ignoriert, und effektive Kommunikation findet nicht statt.
- Stufe 2: Zuhören, um selbst zu sprechen – Wir prüfen die erhaltenen Informationen sofort darauf, wie wir persönlich darauf reagieren können. Der Fokus liegt mehr darauf, unsere eigene Antwort zu formulieren, als darauf, das Gesagte zu verstehen.
- Stufe 3: Zuhören, um zuzustimmen oder zu widersprechen – Wir nehmen die Worte unseres Gesprächspartners wahr, betrachten sie aber hauptsächlich aus der Sicht unserer eigenen Meinung und Positionierung.
- Stufe 4: Der Übergang zum empathischen Zuhören: Verstehen, was unser Gegenüber bewegt – Hier hören wir nicht aus Eigeninteresse zu oder um das Gesagte zu bewerten, sondern aus echtem Interesse an der Perspektive und den Emotionen des anderen.
- Stufe 5 (höchste Ebene): Besseres Selbstverständnis des Gegenübers ermöglichen – Auf dieser Ebene wird das Zuhören zu einem Spiegel, der unserem Gegenüber hilft, seine eigenen Gedanken und Gefühle zu sortieren und neue Erkenntnisse oder Perspektiven zu gewinnen, ohne dass wir die Themen durch unseren persönlichen Filter schicken.
Das Verständnis und die Anwendung dieser Zuhörstufen, insbesondere der Stufen 4 und 5, ermöglicht eine tiefgründige, empathische Kommunikation, schafft Raum für echten Austausch und fördert gegenseitige Wertschätzung. Indem Führungskräfte aktiv zuhören:
- erhalten sie präzise Informationen, was die Wahrscheinlichkeit kluger Entscheidungen erhöht.
- zeigen sie Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden.
- stärken sie das Gefühl der Zugehörigkeit und Verbundenheit untereinander.
Aktiv zuhören mit KI
Es ist jedoch auch klar: Zuhören kostet Zeit. Und angesichts der vielfältigen Rollenerwartungen an HR in den letzten Jahren ist Zeit knapper geworden. Doch das Aufkommen der Künstlichen Intelligenz könnte hier einen Wendepunkt einläuten. KI erweist sich als nahezu perfekter Zuhörer. Sie kann mühelos Text- und Sprachdaten analysieren, eine Aufgabe, die bisher der menschlichen Intelligenz vorbehalten war und in zeitaufwändigen und kostspieligen Assessment- und Entwicklungszentren stattfand. Mit KI können qualitative Daten und komplexe Zusammenhänge auf völlig neue Weise genutzt werden.
KI für qualitative Daten nutzen
Bei Zortify trainieren wir beispielsweise unsere Modelle mit künstlichen neuronalen Netzen. Diese können Informationen aus der Umgebung ähnlich wie das menschliche Gehirn filtern. So ist die KI in der Lage, Bedürfnisse und Stimmungen aus großen Datensätzen mit qualitativen Textantworten herauszulesen und psychische Zustände von Mitarbeitenden zu erkennen. Und genau darum geht es: zu erkennen, was vorhanden ist, ohne es sofort zu bewerten oder reflexartig auf das Gesagte zu reagieren, wie wir es in Gesprächen oft unbewusst tun (siehe Stufen 2 und 3).
Choreografin Monica Bill Barnes sagte einmal in einem Interview: „Zuhören bedeutet zu entscheiden, dass man sich nicht darum kümmern muss, was man als Nächstes sagen wird.“ Das ist ein Punkt, der uns Menschen schwerfällt, insbesondere wenn wir – wie im beruflichen Kontext – immer glauben, eine kompetente Antwort parat haben zu müssen. KI kennt solche sozialen Ängste nicht. Sie hört ohne eigene Erwartungen zu und ermöglicht damit grundsätzlich ein tiefes Verständnis des Gesagten. Dies bildet eine wertvolle Grundlage für HR-Experten, um gezielte Maßnahmen einzuleiten und vorzuschlagen, wie zum Beispiel einen internen Jobwechsel, einen Karriereschritt oder ein vertrauliches Gespräch. Was früher Monate oder Jahre dauerte (oder sogar völlig ignoriert wurde), ist dank KI nun innerhalb von Minuten möglich: Aktives Zuhören durch Datenanalyse, gefolgt von menschlichem Eingreifen durch HR.
Das richtige Setting
Führungskräfte sind gefordert, ein Gespür dafür zu entwickeln, welcher Kommunikationskanal für die unterschiedlichen Persönlichkeitstypen in ihrem Team am effektivsten ist. Insbesondere sollten sie immer wieder aktiv auf die „stillen“ Teammitglieder zugehen und den kontinuierlichen Austausch fördern. Der Schlüssel liegt in einem Setting, in dem sich beide Seiten wohlfühlen. Und wie findet man das am besten heraus? Genau: durch aufmerksames Zuhören.
Artikelheader: Franco Antonio auf Unsplash

Wie Unternehmen dem „Quiet Quitting“ auf den Grund gehen

Vom stillen Kündigen zum stillen Gedeihen
